Friday, April 15, 2016

Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, was ist Performance-Kunst?

Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, was ist Performance-Kunst?
Vortrag von Theodor di Ricco
August  2011 


In einen Raum gehen, einen Gummiball aus eine Tasche nehmen und ihn auf dem Boden aufschlagen ist Performance-Kunst, wenn der Künstler die Aktion dazu erklärt. Wenn der Beobachter in einem Saal sitzt und jemandem gelb gekleidet zuschaut, der sich zu einem Sitzplatz begibt, ist das Performance-Kunst, wenn er sie dazu erklärt. Performance hat keinen Anfang und kein Ende. Sie findet einfach als Happening statt. Ob sie etwas Sprachliches ist oder eine Demonstration oder eine individuelle Handlung oder eben eine verrückte Aktion, hat sie sich immer ereignet wegen der Notwendigkeit Informationen über das Leben zu vermitteln. Kunst ist ein Kommunikationsmittel.

Menschen haben gelernt schöpferisch und sozial zu sein um zu überleben. Zu Beginn der Zivilisation, wurden die ersten Kunstwerke aus Stein gehauen und auf Höhlenwände gemalt um über erfahrene Lehren oder erfolgreiche Handlungen zu berichten. Als die Gesellschaften sich weiter entwickelten, waren diejenigen, die den Zugang zu Informationen kontrollierten, die Bevorzugten. Um ihre Macht zu sichern, haben sie konsequenterweise eine machiavellistische Machtstruktur geschaffen um die Gemeinschaft zu strukturieren und zu beherrschen.

In jeder Gesellschaft gibt es Narren, Schamanen, Weise und Künstler, die sich etwas außerhalb der übrigen Gesellschaft stellen. Sie sind verrückt, besitzen übermenschliche Fähigkeiten, sind klug und kreativ. Um mit ihnen umzugehen, bildet die Gesellschaft ein Mikrosystem das die allgemeine machiavellistische Struktur widerspiegelt. Innerhalb dieses stark kontrollierten Mikrosystems, befinden sie sich im Zentrum und werden gelegentlich von der übrigen Gesellschaft umgeben.

Innerhalb dieser Gruppe ist es der Künstler, der beispielhaft zeigt wie man lebt bzw. Kunst schafft.  Der Künstler ist im Zentrum und kann jeden sehen. Dieser Vorteil ermöglicht es dem Künstler als Druckventil in der Gesellschaft zu werken und Konzepte und Ideen vorzustellen zusammen mit Aktionen und Handlungen, die das Spektrum des Gemeinschaftsbewusstseins der Gesellschaft ausgleichen. 

Der alternative Lebensstil des Künstlers wird bis zu einem gewissen Grad geduldet und anerkannt. Wenn die Lebensqualität in der ganzen Gesellschaft abnimmt, werden einige nach Alternativen suchen. Der Künstler agiert als Katalysator für einen Wandel. Jedoch gerät der Künstler durch dieses Privileg  in das Zentrum der Aufmerksamkeit der Gemeinschaft und muss deshalb nach allen Seiten hin manipulieren, um weiterhin im Mittelpunkt (oder am Leben) zu bleiben.


Der Gemeinschaft soll gezeigt werden, wie man lebt oder Kunst schafft. Sie folgen gern dem Vorbild des Künstlers und werden von der Verantwortung befreit, selbst zu leben (Kunst zu schaffen). Ihre Rolle besteht einfach darin, sich auf etwas Neues einzulassen.

Die mikro-machiavellistische Struktur dient der Bewahrung der Gesellschaft als ganzer und stellt eine kollektiver Disziplin sowohl des Künstlers als auch der Gemeinschaft dar um einen Zustand zu vermeiden, in dem jeder für sich lebt (Kunst schafft), oder kurz gesagt, einen Zustand der Anarchie.

Wie gesagt: Um zu überleben, sind Menschen schöpferisch und sozial. Kunst ist ein Kommunikationsmittel. Als Gesellschaften sich entwickelten, gewannen diejenigen mit Zugang zu Informationen die Kontrolle über die Macht. Daraus resultierte eine machiavellistische Machtstruktur. Als Widerspiegelung dieser Struktur wurde eine Mikroversion geschaffen, wo der Künstler seinen Platz erhielt. 

Er bleibt im Zentrum und agiert als Druckventil innerhalb der Gesellschaft. Beispiele dafür sind der Futurist und der Dadaist. Sie fanden sich in der Mitte wirtschaftlicher und politische Extreme, die durch die schnelle Industrialisierung und den Ersten Weltkrieg entstanden waren und reagierten darauf durch die Schaffung von zeitbezogenden Environments, die das Chaos des alltäglichen Lebens reflektierten. Viele Kunsthistoriker bezeichnen diese beiden Gruppen als den Ursprung der Performance-Kunst. Man könnte Gruppen oder Namen von Künstlern im ganzen letzten Jahrhundert nennen, aber immer schon haben Menschen die Zeit als ein Medium der Kommunikation verwendet. Es ist deshalb nicht wichtig von der Geschichte der Performance-Kunst zu sprechen, Namen zu nennen in Bezug auf die Frage wer der erste war und wo es sich zum ersten Mal ereignete. Bedeutsam ist, den Faden zu finden, der eigene Kulturgeschichte mit den zeitbezogenen Ereignissen im gegenwärtigen Leben verbindet. 

Obwohl es Performance-Kunst immer gab, ist sie erst vor kurzem so bezeichnet worden. Das Wort Performance-Kunst stammt von den Visual und den Ton-Künstlern, als sie in den Siebzigern danach gefragt wurden, was sie denn machten. Später wurde das Wort von Kunsthistorikern verwendet, wenn sie eine Künstlergeneration bezeichneten, die sich von dem Standpunkt der Dauerkunst (Bildhauerei, Malerei und Musik) weg entwickelte und bewusst den Faktor Zeit als Mittel künstlerischen Ausdrucks verwendete. 

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat sich das virtuelle Bewusstsein beträchtlich verstärkt. Telefon, Radio und Fernsehen haben die Menschen viel intensiver in die Lage versetzt Ereignisse gleichzeitig zu erleben. Heutzutage wird das Internet zunehmend zum Kommunikationsmittel, das die drei ebenso umfasst, wie es global und augenblicklich ist.
Im letzten Jahrhundert haben Künstler ihre internationalen Netzwerke in Bezug auf die Entwicklung der Informationstechnologie verstärkt. Immer mehr ist Kunst weltweit gleichzeitig entstanden. Vielleicht ist die Performance-Kunst eine der ersten Kunstformen, die in mehreren Städten in der Welt zur gleichen Zeit vor 50 Jahren entstanden ist. Heute sind diese Netzwerke so eng, dass die Realität und die Virtualität beginnen sich zu überlappen.

In den sechziger Jahren gab es Happenings, Sit-ins, Gruppen-Demonstrationen, wo Leute zusammen gekommen sind, um der Gesellschaft kollektive Statements oder eine Kollektivmeinung zu vermitteln. Eine Visualisierung des Körpers innerhalb Zeit und Raum wurde Body Art. Elemente der Body Art wie z.B. Ausdauer, wo der Künstler seine Grenzen zu seinem Körper erforscht wird, und Survival(Überleben), bei dem der Körper des Künstlers deformiert wird, wurden wichtig innerhalb des Kontextes der Performance-Kunst.

In den siebziger Jahren kam die Kunstrichtung Fluxus auf. Ein Objekt oder eine Aktion wurde manipuliert um eine andere Bedeutung zu vermitteln. Fluxus entwickelt sich aus dem Konzept, dass jeder ein Künstler ist innerhalb der Infrastruktur der Gesellschaft; vom Gärtner, dem Schmied, der Zahnärztin bis zum Politiker. Es ist interessant festzustellen, dass damals das Wort Performance-Kunst verwendet wurde, um diese neue und umstrittene Kunstform zu kennzeichnen. 


In den Achtzigern haben Künstler ihre Netzwerke fortgesetzt, sowohl lokal als auch international. Die Übersättigung durch Performance-Kunst  in den vergangenen Jahrzehnten wirkte auf das Publikum und die Galerie-Besitzer ermüdend. In der Folge nutzten die Künstler Nachtlokale als Ausstellungsorte. In dieser neuen Umgebung erweiterte sich die Performance-Kunst  um die Medien Video, Theater, Musik, Tanz und Travestie. Die Anfänge einer neuen Gattung von Performance-Kunst waren geschaffen.

In den Neunzigern ist die prozessorientierte Performance-Kunst entstanden, Der Künstler initiiert einen Prozess, egal wie abstrakt, um eine Erfahrung zu vermitteln. Auch die 'Massen-Treffen‘ sind entstanden, wo Leute sich an einem Ort trafen um kurze Zeit eine gemeinsame Aktion zu veranstalten. Deshalb war die Aktion des Zusammenkommens allein das Statement an sich. Theater, Tanz und Musik haben wiederum Elemente von Performance-Kunst übernommen und die Live Art war entstanden

In den nuller Jahren oder den letzten zehn Jahren beherrschen die jungen Performance-Künstler, unterrichtet von denjenigen, die in der Performance-Kunst aktiv sind, die Technik von Video, Ton und Internet und arbeiten gelegentlich mit anderen bei ihren Inszenierungen zusammen. Auch das Verhältnis zwischen Realität und Virtualität wird in ihrer Performance-Kunst oft thematisiert. 

Wenn man die Geschichte der Performance-Kunst genauer betrachtet, kann man Ähnlichkeiten in der europäischen Geschichte erkennen, um ihre Entwicklung in den künftigen Jahrzehnten vorauszusagen. Zwischen ca. 1835 und 1865 haben die Geheimpolizeien von Österreich, Russland und Deutschland zusammengearbeitet um die Bedrohung eine Revolution entgegen zu treten, was ähnlich 50 Jahren vorher in Frankreich stattgefunden hat. Diese Periode bezeichnet man als Biedermeier.
Eine weitere Parallele ist in dem dreißig Jahre dauernden Neoliberalismus zwischen 1980 und 2010 zu sehen. Diese ökonomische Strategie, bei der der Markt sich selbst kontrolliert und folglich keine staatliche Regulierung erforderte, war die Reaktion auf den totalitären Kommunismus der UdSSR und Chinas.
Mit dem Fall der Berliner-Mauer dominierte der Neoliberalismus, der schon nach Süd-Amerika exportiert worden war, bei der Transformation der ehemaligen Ostblockländer und Chinas. Der Schock des politischen Wandels machte viele orientierungslos und ermöglichte eine rasche Einsetzung dieses Laissez-faire-Ökonomieplans. Gegenmeinungen wurden als staatsfeindlich angesehen und entsprechend behandelt. Dann kam der 9.September und der Terrorismus erhielt eine neue Qualität. 

Diese Bedrohung war nicht beschränkt auf die Grenzen eines besonderen Landes. Obwohl Terrorakte lagespezifisch sind, ist die Sicherheit weltumfassend. Daraus entstand dem Impuls in entwickelten Ländern ihre eigene neoliberale Politik durchzusetzen. Wie beim Kalten-Krieg und nun bei der Bedrohung durch den Terrorismus, ist die Furcht vorherrschend und die Regierungen entwerfen Gesetze, die Bürgerrechte einschränken. Wie in der Biedermeier-Epoche zogen sich in den letzten dreißig Jahren die Menschen in ihre eigenen vier Wände zurück wegen des Schocks des Neoliberalismus und der terroristischen Bedrohung. 


Wenn die Künstler sich einigen, um ein alternatives Bewusstsein auszudrücken, sind sie Romantiker und wissen nicht, wie oder ob ihre Aktionen eines Tages ihre Mittel rechtfertigen. Das gegenwärtige Medium für freie Meinungsäußerung ist das Internet. Mit dem Entstehen des Web 2.0 gibt es nicht nur drei, neun oder sechsunddreißig Sender und Kanäle und eine getrennte Telefonverbindung, sondern nur ein Kabel. Sie sind ersetzt worden durch den Computermonitor, gleichgültig ob er sich auf dem Schreibtisch oder an der Wand befindet. Unsere sozialen Netzwerke sind teilweise virtuell. Wir können frei wählen, was wir erfahren wollen. Kunst über den Monitor wird sich innerhalb dieses Parameters entwickeln, und Performance-Kunst ist sein Medium. Weil die ephemere Qualität der Performance-Kunst ihr Mittel ist und zu einer Ressource für diejenigen geworden ist, die sie geschaffen haben, liegt die Zukunft der Performance-Kunst darin, diese Ressource über das Internet zu verbreiten.

Über den Charakter der Performance-Kunst wird viel diskutiert. Am wichtigsten ist, dass die Methoden der Vermittlung einer Botschaft ehrlich und authentisch sind. Es gibt auch viel Diskussion über die Reaktion des Publikums auf Performance-Kunst, die eigentlich nicht seiner Zustimmung bedarf. Die Zuschauer brauchen ihre Anerkennung nicht durch Applaus auszudrücken. Ihre Rolle ist hauptsächlich zu erfahren.

Eine singuläre Performance-Kunst-Aktion ohne Publikum, Dokumentation oder Spuren widerspricht dem Erfordernis eine Botschaft zu vermitteln. Andere können anderer Meinung sein. Jedoch kann man diese Diskussion vergleichen mit dem Ton des Applaudierens einer Hand. Es ist endlos und nur bedeutsam für diejenigen, die zu antworten versuchen.
Heute scheint es, als ob der Zweifel an der Botschaft und der Absicht des Künstlers den Common-Sense und Selbstverständliches in Frage stellt. Wie bei jeder Handlung hat sie politische, spirituelle und ästhetische Implikationen. Die Dose Hundefutter, die man kauft, oder die Kleidung, die man morgens anzieht informieren über sich selbst und wie man die Gesellschaft, in der man lebt, auffasst. Offensichtlich argumentiert man so, dass, wenn ein Künstler eine Aktion durchführt und sie Kunst nennt, damit ihre Botschaft wichtig und das Konzept erkennbar wird. Die Notwendigkeit Informationen Menschen zu vermitteln darüber, wie man lebt (Kunst schafft), ist die Absicht des Performance-Künstlers.

Jetzt wehen Winde einer ruhigen Revolution. Die politischen und wirtschaftlichen Strukturen der letzten drei Jahrzehnte erfahren einen Wandel. Die Welt entfernt sich vom neokonservativen Kapitalismus hin zu einer sozialen Demokratie. Gegenwärtig gibt es mehr sozialistischer Länder als vor dem Kalten Krieg. In der letzten keynesianischen Epoche der sozialen Demokratie entstand zwischen circa 1935 bis 1965 eine neue Phase der modernen Kunst in der Welt. Die nachfolgende Epoche wird eine Flut von Gegenwartskunst bringen und Performance –Kunst wird wohl die Kunstform des 21. Jahrhunderts werden.

Deshalb ist es sehr wichtig, dass Festivals und Kongresse mit dem Thema Performance-Kunst stattfinden.  Sie bringen Künstler zusammen, die sich in Bezug auf ihr Herkommen und ihre kulturellen Temperamente unterscheiden und damit für einen ständigen Zufluss neuer Ideen und Konzepte sorgen. Diese Treffen garantieren eine zeitbezogene Umgebung, wo die Künstler und das Publikum aktuelle künstlerische Ausdruckformen erfahren, kommunizieren, Potenziale integrieren und die Brücken verstärken, die sie miteinander verbinden. Der Nutzen dieses Austausches, ob künstlerische oder persönlich, ist ein hoch motivierender Faktor für alle Teilnehmer. In diesem Fall, wo die Kunst dem Leben vorangeht, ist dieses gemeinsame künstlerische Happening sowohl für die Künstler als auch für die Gesellschaft als ganze von Nutzen.


Das Konzept der Performance-Kunst ist diskutiert worden und wird weiter entwickelt. Sie gehört zur Spitze der Gegenwartskunst, einfach weil sie zeitbezogen ist. Der Performance-Künstler definiert zunächst den Zeitgeist, der später in den anderen Medien der Musik, des Tanzes, des Theaters, der Malerei, des Films oder der Bildhauerei interpretiert werden. Performance-Kunst ist der Akt, Kunst vor Ort und im Augenblick zu schaffen. Doch, obwohl jeder künstlerisch tätig sein kann, wagen es nur wenige. So, to do (Also, macht es). 



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